Aus: Case Managemant in der
Sucht- und Drogenhilfe. Bd. 139 der Schriftenreihe des
Bundesgesundheitsministerium. Baden-Baden, 2001.
2.1 Theoretische Grundlagen und Entwicklung
Der Begriff „Case Management" steht im
Kern für eine Arbeitsweise, bei der psychosoziale Dienstleistungsangebote
insbesondere für chronisch Kranke mit dem Ziel koordiniert werden, den Klienten
den Zugang zu versorgungsrelevanten Leistungen zu ermöglichen (EWERS 1996).
Dabei werden jedoch - je nach Autor - unterschiedliche konzeptionelle
Vorstellungen bzw. Erwartungen an Case Management akzentuiert. Auf der einen Seite wird z.B. Case Management als
personenbezogene Dienstleistung und Methode verstärkter Klientenorientierung
betont: „Implicit at least in the idea of the individual case manager is that
(s)he will operate as the client's advocate and defender, imaginatively,
opportunistically and even combatively gathering together forms of help from
all sorts of sources: public, private, voluntary and informal." (BALDOCK,
EVERS 1991, S. 196). Auf der anderen Seite stehen Ansätze, die das System
verändern und Versorgungsausgaben reduzieren wollen: .Ausgangspunkt vieler
Managed Care Konzepte ist, dass die Versorgung auf der jeweils
kostengünstigsten Ebene stattfinden sollte" (TOPHOVEN 1997, S. 7) oder:
„Care Management zielt auf die Veränderung der Versorgungsstrukturen im Sinne
einer effizienteren Wohlfahrtsproduktion" (EWERS 1996, S. 59).
Case Management wurde zuerst und vor allem
in den USA entwickelt. Es geht auf sozialarbeiterische Ansätze Ende des 19.
Jahrhunderts zurück, erfuhr jedoch erst seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts
(wieder) verstärkte Aufmerksamkeit. Die strukturellen Rahmenbedingungen des
amerikanischen Versorgungssystems - NETTING spricht hier sogar von einem
„nonsystem" (1992, S. 16) - sind durch Uneinheitlichkeit,
Dezentralisierung, das Fehlen großer Wohlfahrtsverbände etc. gekennzeichnet. In
der Folge wuchsen Unübersichtlichkeit, Versorgungsprobleme und Zugangsbarrieren
zu den Hilfen, gleichzeitig stiegen die Ausgaben. Mit dem Konzept des
„Continuum of care" (WEIL u.a. 1985) sollte die weitgehend unkoordinierte
und des integrierte Versorgung verbessert werden. Nach den massiven Kürzungen
im Sozialbereich in den 80er Jahren wurde stärker nach
Optimierungsmöglichkeiten beim Einsatz der knappen Mittel und vorhandenen
Ressourcen gesucht. Hinzu kamen Forderungen nach Transparenz und
Wirtschaftlichkeit(skontrollen). KAPLAN erklärt die Popularität von Case Management
deshalb auch wie folgt: „Currently, case management is a popular concept
because of its dual focus. On the one
hand, case management enhances client functioning; on the other, it contains
costs. Thus, case management offers considerable promise in the era of rapidly
growing social and health care needs and costs" (KAPLAN 1990,S.63).
Case Management entwickelte sich anfangs
vor allem im Bereich der außerstationären Versorgung chronisch psychisch
kranker Menschen, wurde dann auf die Bereiche Pflege, Alten- und Familienhilfen
ausgeweitet und gilt inzwischen als generelle Methode für alle Felder sozialer
Arbeit, als „core component of service delivery in every sector of human
services" (VOURLEKIS, GREENE 1992, S. xi). Wenngleich Sozialarbeitern
dabei nach wie vor eine wesentliche Rolle zukommt, so bezieht sich Case
Management dennoch nicht exklusiv auf diese Berufsgruppe, sondern gilt als
potentiell von allen im Gesundheits- und Sozialbereich Beschäftigten anwendbare
Methode.
Anfang der neunziger Jahre veröffentlichten
die National Association of Social Workers und die Case Management Society of America
Standards für Case Management (s. NASW 1992, CMSA 1995), die für alle Bereiche
und Professionen im Gesundheits- und Sozialbereich gelten und einen Rahmen für
Ziele und Vorgehensweisen bieten sollen.
Gleichwohl gilt auch weiterhin, dass es
weder in den USA noch darüber hinaus ein einheitliches Verständnis des Begriffs
Case Management gibt. Die verschiedenen Konzepte reichen von kurzfristigen
Clearing- bzw. vermittlungsorientierten Modellen bis hin zu einer
längerfristigen Rehabilitationsorientierung, wobei wichtige
Differenzierungsmerkmale neben der Laufzeit der Programme auch die Fallzahl je
Case Manager sind (vgl. SIEGAL u.a. 1998).
Die Entwicklung in Großbritannien ist für
den Ansatz des Case Managements ebenfalls von Bedeutung, doch unter gänzlich
anderen Voraussetzungen als in den USA: In der Nachkriegszeit wurde hier ein
klar strukturiertes Sozial- und Gesundheitswesen entwickelt. Der über Steuern
finanzierte National Health Service sichert allen Bürgern den Zugang zu
sozialer und gesundheitlicher Versorgung. Im Bereich der außerstationären
Versorgung gerade chronisch (mehrfachbeeinträchtigter) Kranker zeigten sich in
den 80er Jahren in Großbritannien jedoch zunehmend Diskontinuität und
Desintegration. Um diesen Problemen zu begegnen, wurde nach einer breiten
politischen Diskussion und einigen Modellversuchen 1990 der National Health
Service and Community Care Act beschlossen. Damit wurden verbindliche
Strukturen geschaffen, die zum einen marktwirtschaftliche Prinzipien, u.a.
Privatisierung im Sozial- und Gesundheitswesen, vorsahen. Zum anderen wurde
„analog zu der Funktion des Arztes, der als Gate-Keeper den Zugang zu
medizinischen Leistungen steuert, (...) für die Probleme bei der sozialen,
pflegerischen und psycho-sozialen Versorgung ebenfalls eine
,0ne-door-for-those-in-Need'-Lösungsstrategie verfolgt" (EWERS 1995, S.
18).
Der programmatische Unterschied zu den USA
drückt sich in der Verwendung des Begriffs Care Management oder managed Care
aus (statt Case Management). Managed Care zielt mehr auf die System- als auf
die Klientenebene. Es soll Aufgaben der community care
Allerdings wird kritisch diskutiert,
inwieweit die strukturbezogenen Aufgabenstellungen in Verbindung mit der
Budgetverwaltung zu einer Reduzierung klientenbezogener Funktionen,
insbesondere der anwaltlichen Vertretung einzelner Klienten, führen.
In Großbritannien wird der Zugang zum
Hilfesystem über sog. Care Manager vermittelt, deren Funktion und Verortung im
Unterschied zur Situation in den USA öffentlich definiert und klar geregelt
wurde: Care Manager sind bei staatlichen Organisationen Angestellte, die mit
Klienten gemeinsam beraten, welche Bedarfe bestehen, und ein individuelles
„Hilfepaket" zusammenstellen. Um Interessenkollisionen zu vermeiden,
finden Bedarfsprüfung, Entscheidung über und Planung von Leistungen
grundsätzlich getrennt von der Hilfeerbringung statt (purchaser/provider split,
vgl. z.B. GRIMWOOD 1996, S. 292, WENDT 1997, S. 18).
Fasst man die Kernpunkte der Case Management-
bzw. Managed Care-Diskussion zusammen, so kristallisieren sich die beiden
folgenden Punkte heraus:
+ Case Management als komplexer Ansatz zur
Erbringung von Dienstleistungen für Klienten mit vielfältigen Problemen. Der
Prozess des Case Managements umfasst dabei die Arbeitsschritte Assessment mit
der Identifikation von Unterstützungsbedarfen
+ Managed Care zur Optimierung der
Versorgung durch Realisierung kostengünstiger Methoden und
Entwicklung/Gewährleistung einer effektiven und (kosten)effizienten
Versorgungs(struktur) einschließlich ihrer Steuerung.
Wenngleich in den USA und Großbritannien
andere sozialpolitische Rahmenbedingungen gelten, die die Entwicklung von Case
Management sicherlich begünstigt haben, so führt doch auch in Deutschland z.B.
der „Umbau" der Hilfesysteme unter den Bedingungen knapper finanzieller
Ressourcen der öffentlichen Haushalte zu einer zunehmenden Bedeutung von Case
Management in vielen Bereichen der psychosozialen und medizinischen Versorgung.
Auch hier entsteht u.a. durch die gesundheitspolitische Leitlinie „ambulant vor
stationär" verstärkt die Notwendigkeit der Koordination komplexer
personenbezogener ambulanter Dienstleistungen. Mit Case Management wird die
Erwartung verbunden, die Qualität sozialer Dienstleistungen trotz Sparzwängen
weitgehend erhalten oder sogar verbessern zu können. Diese Hoffnung gründet
sich auch auf die Annahme, dass an vielen Stellen der wenig aufeinander
bezogenen Hilfesysteme Optimierungsmöglichkeiten durch die einzelfallbezogene
Organisation des Unterstützungsprozesses im Sinne von Case Management
erschlossen werden können (u.a. durch Vermeidung von Doppelbetreuungen - vgl.
ENGLER, OLIVA 1997).
Case Management wird in Deutschland erst
seit Ende der 80er Jahre rezipiert und verstärkt seit 1994/1995 diskutiert.
Dabei kommt WENDTS Modell des Unterstützungsmanagements (WENDT 1995, 1997)
wesentliche Bedeutung zu. Allerdings steht die Umsetzung in Deutschland immer
noch am Anfang. Im Bereich der medizinischen Versorgung werden Modelle
diskutiert und erprobt, die eher dem englischen Ansatz von Kostensteuerung
folgen (Stichwort: Hausarzt als Case Manager). Zielgruppe der Modelle sind oft
chronisch Kranke (vgl. TOPHOVEN 1997). In diesem Kontext stehen auch
Entwicklungen im Bereich der Sozialhilfe: Im Rahmen neuer Steuerungsmodelle,
unter Rezipierung mehr der Managed Care- als der Case Management-Erfahrungen,
gehen Sozialhilfeträger seit einigen Jahren verstärkt dazu über, Fallmanagement
auszubauen und die Wirksamkeit von Hilfen zu untersuchen (vgl. z.B. SEIBERT
1996). Dabei verändert sich das Selbstverständnis von Sozialhilfeträgern - hin
zu einem „Fürsorgemakler (der ...) zum Garanten eines grundlegenden
Assessments, einer individuellen und selbstbestimmten Hilfeplanung (...
wird)", und mit Modellprojekten wird versucht, hierzu Wege zu entwickeln
(vgl. GlTSCHMANN u.a. 1999, S. 16 f. oder BRINKMANN u.a. 1997, 1998).
Auch im Bereich der sozialen Arbeit in
Deutschland erwächst - in Ergänzung zu den traditionellen Ansätzen von
Einzelfallhilfe, Gruppen- und Gemeinwesenarbeit - zunehmend Interesse an Case
Management, hier meist im Sinne optimierter Hilfe im Einzelfall und
anwaltlicher Vertretung von Klienten. Gerade mit Blick auf die bei
chronisch-rezidivierenden Erkrankungen üblichen Veränderungen im Hilfebedarf
sollen Hilfen flexibel gestaltet und gleichwohl personelle Kontinuität sichergestellt
werden. Dabei sollen Klienten alle notwendigen Dienstleistungen und Hilfen in
einem Prozess von systematischer Bedarfsermittlung, Zielbestimmung,
Maßnahmenplanung, Organisation/Koordination, Kontrolle und Evaluation verfügbar
gemacht werden. Dazu wurden einige Modellprogramme durchgeführt (vgl. z.B. BOHM
u.a. 1994; WlßMANN 1994; REIBERG, SAUER, WlSSERT 1997a, 1997b). Auch im Bereich
der ambulanten psychiatrischen Versorgung wurde in den letzten Jahren unter
Nutzung von Case Management-Prinzipien der sog. personenzentrierte Ansatz
insbesondere für chronisch Kranke entwickelt und modellhaft erprobt (vgl. z.B.
SCHLEUNING u.a. 2000). Ergebnisse dieser Diskussionen schlugen sich z.B. in den
Empfehlungen zur Personalbemessung im komplementären Bereich der
psychiatrischen Versorgung (AUTORENGRUPPE KRUCKENBERG)
Hinsichtlich der Erprobung von Case
Management für Abhängige kann nur auf ein Modellprojekt verwiesen werden: Von
1994 bis 1997 lief in Bochum ein Projekt zur Verbesserung der Versorgung
chronisch mehrfachgeschädigter Abhängigkeitskranker, in dem im Kontext von
suchtspezifischen und psychiatrisch-psychosozialen Angeboten
(klientenzentrierte) verbindliche Kooperationsformen im Rahmen von
Pflichtversorgungsstrukturen entwickelt wurden (ENGLER, SCHLANSTEDT 1998).
2.2 Aufgaben
und Ablauf von Case Management
Case Management ist ein schillernder
Begriff, unter dem z.T. deutlich voneinander abweichende Arbeitsansätze subsumiert
werden. Sie unterscheiden sich häufig nur im Detail, oftmals werden andere
Begrifflichkeiten verwendet etc. Doch ist allen Ansätzen gemeinsam, dass sie
Case Management nicht im Sinne einer therapeutischen Methode verstehen, sondern
als ein Handlungsschema, eine bestimmte Ablauforganisation, für die bestimmte
Kernaufgaben/Arbeitsschritte benennbar sind. Diese sollen im Folgenden nach
einigen grundsätzlichen Anmerkungen zur Methode ausgeführt werden. Case
Management kann zuerst und wesentlich als Verknüpfungsaufgabe interpretiert
werden: Klienten mit ihren individuellen Hilfebedarfen (Nachfrageseite) und
verfügbare Hilfe-Ressourcen (Angeboteseite) sollen systematisch unterstützt
zusammen kommen, (vgl. z.B. WENDT1997).
Dabei sind aus Mitarbeitersicht vor allem
zwei wichtige Rollenklärungen relevant: Zum einen müssen Klient und Case
Manager miteinander einen Modus Vivendi aushandeln, wobei dieser sich in der
Regel von anderen Helfer-Klient-Beziehungen durch die hohe
Beteiligung/Verantwortung des Klienten im und für den Prozess sowie seine
unbedingte Definitions- bzw. Auftragshoheit unterscheidet. Zum anderen muss
sich ein Case Manager zur Übernahme von Koordinations- und
Fallführungsfunktionen mit anderen Unterstützungsstellen und -Systemen
verständigen.
Die vielfältigen Konzepte haben keine
einheitliche Meinung zum Umfang der direkten Hilfeerbringung durch den Case
Manager bzw. zum Verhältnis von eigener Hilfeerbringung zu
Vermittlungs-/Koordinationsleistungen. Gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass
- im Unterschied zu klassischer Einzelfallhilfe - Case Manager die nötigen
Hilfeleistungen weniger selbst erbringen als sie vielmehr organisieren sollen.
Case Management sollte des weiteren in seiner
Herangehensweise, anders als Suchtarbeit traditionellerweise, mehr den
Charakter einer sachlichen Aufgabenerfüllung haben. Da gleichwohl eine
vertrauensvolle Beziehung zwischen Gase Manager und Klient sowie hohe
Arbeitsanteile im Setting des Klienten erforderlich sind, steht Case Management
also in einem Spannungsfeld zwischen Sachlichkeit und Beziehungsarbeit, das
denjenigen, die nach dieser Methode arbeiten (wollen), z.T. neue und
anspruchsvolle Leistungen abverlangt.
Ein zentrales Prinzip von Case Management
ist die Nutzerorientierung. Statt wie üblich vom Angebot aus zu denken, wird
hier zum einen dem Dienst die Verantwortung dafür zugeordnet, seine Zielgruppe
zu erreichen, also z.B. eine Komm-Struktur, ungünstige Öffnungszeiten etc.
zugunsten von Geh-Struktur etc. aufzugeben, zumindest zu ergänzen. Zum anderen
werden Art und Umfang der Hilfeerbringung im Case Management nicht durch ein
enges Einrichtungskonzept vorgegeben (Beratung, ambulante Therapie etc.),
sondern durch den Bedarf des Klienten.
Die o.g. Verknüpfungsaufgabe erschöpft sich
nicht im Ausfindigmachen von Klienten und in der klientenbezogenen Vermittlung
von Hilfen, sondern erstreckt sich im Weiteren auch auf die Zusammenführung
verschiedener an der Versorgung Beteiligter im Rahmen einer zentralen Steuerung.
Case Management läuft idealtypisch
als geregelter Prozess ab. Unter Rückgriff auf verschiedene Ansätze (vgl. z.B.
MOXLEY 1989, BALLEW, MlNK 1995, WEIL 1995, RAIFF, SHORE 1997, WENDT 1997)
lassen sich die Prozessstufen etwa wie folgt darstellen:
Zugangserschließung und Fallaufnahme
Assessment
Zielvereinbarung Hilfeplanung
Durchführung (inkl. Vermittlung,
Organisation, Koordination)
Monitoring
Re-Assessment
Ergebnisbewertung und Beendigung der
Zusammenarbeit
1. Schritt: Zugangserschließung und
Fallaufnahme
Die rechtzeitige Unterstützung ist für den
Erfolg gesundheitlicher oder sozialer Maßnahmen oft von entscheidender
Bedeutung. Doch finden nicht alle hilfebedürftigen Menschen - trotz einer
Vielzahl von Hilfeangeboten - Zugang zu den Unterstützungsmöglichkeiten.
Besonders problematisch ist, dass mit zunehmender Schwere der Beeinträchtigung,
also auch bei chronisch mehrfachbeeinträchtigt Abhängigen, die Inanspruchnahme
von Hilfeangeboten abnimmt (vgl. WENDT 1997, S. 105, WlENBERG 1992).
Die traditionelle Suchtkrankenhilfe muss sich
dabei fragen lassen, ob sie nicht aktiv Schwellen zwischen sich und der
Lebenswelt der Abhängigen errichtet bzw. wie sie Erreichbarkeit, Bedarfs- und
Nutzerorientierung steigern kann. An erster Stelle ist die Zugänglichkeit des
Hilfeangebots selbst zu überprüfen: Wie sind die Öffnungszeiten gestaltet?
Ermöglichen sie Besuche am Abend, am Wochenende? Wird aufsuchende Arbeit
durchgeführt (genau dort, wo die „schwierigen" Klienten sind)? Ist das
Angebot dort bekannt, wo die Hilfe gebraucht wird? In jedem Fall gehört zu Case
Management auch das aktive Bemühen, die (am meisten) Hilfebedürftigen zu
erreichen.
Im Kontakt mit potentiellen Klienten muss
geprüft werden, ob Case Management
gebraucht wird oder eine andere Art der
Hilfe, z.B. eine begrenzte Information oder Beratung. Es werden Anliegen des
Hilfesuchenden eruiert, Rollen geklärt, über das Verfahren informiert und ggf.
der Fall schließlich bewusst aufgenommen/begonnen. Nun kann der Hilfesuchende
zum Klienten werden, von dem auch Mitarbeit verlangt wird.
2. Schritt: Assessment
Die Beurteilung der Problemlage
(Assessment) im Case Management geht deutlich über eine Anamnese im
herkömmlichen Sinne hinaus. Angestrebt wird ein umfassendes Bild über
biographische, psychologische, soziale und medizinische Aspekte. Zur
ganzheitlichen Einschätzung der Situation gehören auch die Lebensgeschichte und
der Lebensentwurf/die Perspektiven, die Außenwelt/der Sozialraum des Klienten
und seine persönlichen Dispositionen/Innenwelt. Zur Beschreibung von
individueller Lebensgeschichte und -lage des Klienten können auch Angehörige
und ggf. andere professionelle Helfer, Ärzte, aber auch Aktenmaterial wichtige
Beiträge leisten. Eine entsprechende Bewertung geschieht grundsätzlich
gemeinsam mit dem Klienten, betont bereits in diesem frühen Stadium seine
aktive Rolle und erhöht die Bindung an den Unterstützungsprozess. Dabei ist es
wichtig herauszufinden, wie der Klient seine Situation sieht und bewertet. Die
Einschätzung erfasst über Probleme und Bedarfe hinaus auch Stärken und Ressourcen
des Klienten bzw. in seinem Umfeld. Die Einschätzung erfolgt schrittweise, über
einen längeren Zeitraum und in mehreren Gesprächen. Sie muss kontinuierlich
wiederholt werden (Re-Assessment). In der Praxis erweist es sich als günstig,
die Einschätzung entlang einer vorbereiteten Struktur vorzunehmen, um „blinde
Flecken" zu minimieren. In dem Zusammenhang sind auch die Dokumentation
der gesammelten Informationen und die daraus resultierenden Entscheidungen
sowie deren systematische Mitteilung an relevante Stellen von größter Bedeutung.
Aus der Problemeinschätzung und der
Beurteilung des Unterstützungspotentials im Umfeld des Klienten folgt die
Bedarfsschätzung/-klärung. Der Bedarf ergibt sich dabei nicht nur aus vom
Klienten angemeldeten Bedürfnissen, sondern auch aus der Einschätzung des Case
Managers. Die Bedarfsklärung geschieht in einem Aushandlungsprozess zwischen
Klient und Mitarbeiter.
3. und 4. Schritt: Zielvereinbarung,
Hilfeplanung und Durchführung
Nun sind für das weitere Vorgehen gemeinsame
Ziele zu vereinbaren. Sie müssen realistisch sein und konkrete (später
überprüfbare) Planungsgrundlagen liefern. Die systematische Planung des
Unterstützungsprozesses beinhaltet die Identifizierung benötigter und
geeigneter Hilfeangebote, die Festlegung von Zuständigkeiten und Vereinbarungen
über das konkrete Vorgehen. Im Idealfall findet dazu eine Hilfeplankonferenz
statt, an der neben Case Manager und Klient weitere Versorgungsbeteiligte
teilnehmen. Der Hilfeplan ist das Ergebnis ausgehandelter Übereinkünfte
zwischen Case Manager und Klient sowie ggf. Angehörigen und weiteren
beteiligten Einrichtungen. Er ist nicht mit konkreten Ausführungsplänen (z.B.
Therapieplan, Erziehungsplan) zu verwechseln. Vielmehr stellt er eine Art
„Gesamtplan" dar, in dem nach Prioritäten geordnete Ziele,
operationalisierbare Zwischenschritte, Aufgabenverteilung und Zeitpläne fixiert
werden. Ein ähnlich intendierter Gesamtplan ist auch im BSHG (§ 46) vorgesehen,
de facto kommen die Sozialämter dieser Aufgabe jedoch (noch) wenig nach,
fachliche Sozialarbeit und wirtschaftliche Sozialhilfe werden meist relativ
unabhängig voneinander geleistet.
Sowohl die Komplexität des Vorgehens bei
der Hilfeplanung als auch die weiteren Schritte in der Ablauforganisation von
Case Management verlangen ein geregeltes und transparentes Dokumentations- und
Informationsverfahren für alle Beteiligten. Damit diese ihren Aufgaben
verbindlich nachkommen, sind schriftliche Vereinbarungen zwischen Klient, Case
Manager und professionellen oder privaten Dritten hilfreich. Schließlich
initiiert der Case Manager die vereinbarten Maßnahmen, schafft Verbindungen
zwischen Hilfesuchenden und informellen und formellen Hilferessourcen. Je nach
Aufgabenprofil der Einrichtung bzw. der Stelle wird der Case Manager einen Teil
der zu erbringenden Hilfe selbst übernehmen.
5. und 6. Schritt: Monitoring und
Re-Assessment
Wie schon festgestellt, ist der Case
Manager meist nicht selbst oder nur zum Teil mit einer Leistungserbringung beschäftigt,
doch ist es seine Aufgabe, die vereinbarte Versorgung zu überwachen. Erhält der
Klient alle vereinbarten Hilfen, in der besprochenen Art und in angemessenem
Umfang? Er hat aber auch zu beobachten, wie der Klient Vereinbarungen einhält.
Damit der Case Manager diese Funktion
wahrnehmen und ein systematischer Informationsaustausch über den aktuellen
Stand des Betreuungsprozesses stattfinden kann, müssen die einzelnen Hilfen gut
dokumentiert werden. Hier besteht möglicherweise ein Problem darin, dass der
Case Manager von den anderen Leistungsanbietern als Einmischung wahrgenommen
wird. Tatsächlich wird er im Interesse des Klienten die Durchführung
kontrollieren, ggf. umsteuern und notfalls die Interessen des Klienten wahren,
für ihn fürsprechen (advocacy). Case Managern kommt hierbei generell die
Aufgabe zu, ihren Klienten „anwaltlich" zu vertreten, für ihn zu sprechen,
Interventionen zu seinen Gunsten zu veranlassen etc. Das Monitoring sichert im
Case Management sowohl die Einhaltung der Vereinbarungen durch den Klienten als
auch eine Unterstützung des Klienten, wenn Einrichtungen oder Dienste ihren
übernommenen Verpflichtungen nicht nachkommen. Schließlich kann die Richtigkeit
der Vermittlungsentscheidung des Case Managers bewertet werden.
Dieser Arbeitsschritt berührt am
deutlichsten und empfindlichsten das Verhältnis von Case Management zu anderen
Diensten. Vielfältige Problemlagen (Konkurrenz um öffentliche Mittel, Angst vor
dem Verlust organisatorischer Selbständigkeit, ideologische und Statuskonflikte,
Rivalität zwischen Berufsgruppen etc.) können zu einer Beeinträchtigung der
gemeinsamen Betreuung von Klienten führen. Zur Stützung der Zusammenarbeit
wären verbindliche Kooperationsverträge sinnvoll, die derzeit jedoch eine
Ausnahme sind (vgl. OLIVA u.a. 2001).
Im Verlauf des Unterstützungsprozesses muss
die Situation des Klienten regelmäßig neu bewertet werden, um z.B. bei
geänderten Rahmenbedingungen eine Anpassung von Zielen bzw. eine Veränderung
von Hilfeplanung und weiterem Vorgehen vornehmen zu können. Diesem
Re-Assessment kommt eine wesentliche qualitätssichernde Bedeutung zu, da
hiermit (Zwischen-)Ergebnisse überprüft werden und ggf. Ziele und weiteres
Vorgehen angepasst werden können.
7. Schritt: Ergebnisbewertung und Beendigung
der Zusammenarbeit
Schließlich wird am Ende eine ausführliche
Ergebnisevaluation durchgeführt, die auf Hilfeplan und Aktenführung sowie eine
Erhebung von Nutzerzufriedenheit zurückgreift, Zielerreichung sowie Maßnahmen-
und Mitteleinsatz, ggf. auch Ursachen von Misserfolgen, beurteilt.
Die Beendigung des Hilfeprozesses wird in der Regel gemeinsam von Case Manager und Klient beschlossen und bzgl. Zeitpunkt, Art und Weise des Abschlusses begründet. Es ist wichtig, den Prozess regelhaft abzuschließen, ggf. Anschlussbetreuungen zu organisieren etc. Denn auch wenn Case Management betont sachlich vorgeht, entsteht eine Beziehung zwischen Klient und Case Manager, die nicht einfach aufhört, sondern angemessen beendet werden sollte. Ggf. wird aus dem geplanten Abschluss allerdings ein (erneutes) Re-Assessment oder führt zur Vereinbarung einer anderen Form von (z.B. weniger intensiver) Nachsorgebetreuung.
broker model
(Makler-Modell)
clinical case management
model (Klinisches-Casemanagement-Modell)
assertive community
treatment (ACT-Modell)
intensiv case management
model (ICM-, Intensiv-Casemanagement-Modell)
strength model
(Ressourcen-/Stärken-Modell)
rehabilitation model
(Rehabilitations-Modell)
Das
Makler-Modell (broker model)
Im Makler-Modell stellt der CMer zunächst
den Hilfebedarf des Patienten fest (1), ermittelt dann die verschiedenen zur
Hilfe nötigen Dienste (2), sichert und organisiert den Zugang zu diesen (3) und
koordiniert schließlich langfristig die Gesamtbehandlung,die er überwacht (4)
und im Rahmen derer er den Patienten anwaltschaftlich vertritt (5). Dieses
Modell war das erste und ist entstanden, um in Folge der Auflösung der
Psychiatrischen Krankenhäuser den Patienten durch das komplexe und ihm unbekannte
gemeindepsychiatrische Versorgungssystem zu lotsen (Moore 1990). Begrenzender
Faktor und Nachteil dieses Modells war, daß der CMer handelte ohne über eigene
psychiatrische Fachkenntnisse zu verfügen. Dies wurde vor allem deshalb als
problematisch angesehen, weil es unterstellte, dass für ein effektives CM
Fachkenntnisse nicht nötig seien und daß jeder beliebige, nicht fachkundige
Anbieter die notwendigen Dienste in geeigneter Form vermitteln könne.
Das Klinische Casemanagement Modell
(clinical case management model)
Das Klinische Casemanagement wurde in
Anbetracht der Defizite des Makler-Modells entwickelt und trug der Erkenntnis
Rechnung, dass häufig eine psychiatrische Unterstützung durch den CMer
gefordert wurde (Deitchman 1980; Lamb 1980; Harris und Bergman 1987).
Anforderungen an den CMer in diesem Modell sind: Gewinnung/Rekrutierung der
Patienten, Hilfebedarfserhebung und Hilfeplanung (1), Hinführung zu
Hilfeangeboten in der Gemeinde, Beratung mit Angehörigen und anderen Betreuern,
Aktivierung privater Ressourcen, Zusammenarbeit mit behandelnden Ärzten und
Krankenhäusern, anwaltschaftliche Vertretung (2), personenbezogene,
individuelle Unterstützung einschließlich Training lebenspraktischer
Fähigkeiten und Psychoedukation (3), Überwachung der Entwicklung und Einleitung
von Veränderungen sowie Krisenintervention falls erforderlich (4). Obwohl die
in diesem Modell definierten psychiatrischen Unterstützungsleistungen des CMers
mancherorts in unterschiedlicher Form und Ausprägung auch im Broker-Modell zu
finden waren, wurde erst im Klinischen Casemanagement Modell explizit
dargelegt,dass es sich bei dem CMer um eine ausgebildete Fachkraft mit
Kenntnissen vor allem in den Bereichen Psychoedukation und
sozialpsychiatrischem Kompetenz- und Fertigkeitentraining handeln muß.
Das
ACT-Modell (assertive community treatment)
Als gemeindeintegrierte Alternative zum
psychiatrischen Krankenhaus wurde in den 70er Jahren in Wisconsin/USA das
ACT-Modell entwickelt (Stein und Test 1980), das insbesondere die Zielgruppe
der Patienten mit starken Beeinträchtigungen infolge schwerer und chronischer
Psychosen und häufigen Krankenhausaufenthalten in der Vorgeschichte im Auge
hatte. Insbesondere in seiner weiterentwickelten Form beinhaltete dieses
Programm ein umfassendes und spezifisches Behandlungspaket, das in seinen
Leistungen weit über das Makler-Modell und auch das Klinische Casemanagement
Modell hinausging. Das ACT-Programm wird nicht von einer einzelnen Person als
CMer, sondern von einem multidisziplinärenTeam durchgeführt,das üblicherweise
aus einem Psychiater,einer psychiatrischen Fachpflegekraft und mindestens 2
speziellen CMern besteht (1). Mit einem Patient-Personal-Schlüssel von
durchschnittlich 10:1 ist es wesentlich personalintensiver als andere
CM-Modelle mit Personalschlüsseln von 30 :1 oder höher
(2). Die Hilfeleistungen werden überwiegend nicht in der Einrichtung, sondern
außerhalb,d.h.bei den Patienten zu Hause oder in
öffentlichen Räumen erbracht (3). Nicht der einzelne CMer, sondern das Team ist
therapeutischer Bezugspunkt für die betreuten Patienten (4); dieses hält eine
24-Stun-den-Verfügbarkeit vor (5); die meisten Leistungen werden direkt vom
ACT-Team erbracht und nicht delegiert (6); die Leistungserbringung ist zeitlich
nicht begrenzt, d.h. eine langfristige Betreuung ist möglich (7) (Stein und
Test 1980;Thompson et. al. 1990;Test 1992). Der niedrige
Patient-Betreuer-Schlüssel, die Betonung auf Leistungserbringung im natürlichen
Lebensumfeld des Patienten und die vorrangige Erbringung der Leistungen durch
das ACT-Team selbst spiegeln wieder, dass in diesem Modell der Schwerpunkt auf
praktische Unterstützung im täglichen Leben gelegt wird.
Das ICM-Modell (intensiv Casemanagement
model)
Das ICM-Modell wurde entwickelt für eine
als„high service users" (Shern et al. 1989, Surles et al. 1992) bezeichete
Zielgruppe, d.h. für Patienten mit einer hohen Inanspruchnahme von
psychiatrischen Dienstleistungen. Es entstand aufgrund der Erkenntnis, daß
Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen oft mit den üblichen
CM-Maßnahmen nicht den für sie geeigneten Hilfemaßnahmen zugeführt werden
konnten, dennoch aber in hohem Umfang sehr kostspielige Dienste wie
Kriseninterventionseinheiten in Anspruch nahmeh (Surles et McGurrin 1987).
Um dem Problem dieser Patienten wirksam zu
begegnen nutzt das ICM-Modell einen Patienten-Personal-Schlüssel von
durchschnittlich 10:1, bietet Hilfeleistungen überwiegend in aufsuchender Form,
d.h. im natürlichen Lebensumfeld des Patienten an und betont Unterstützungen im
Bereich von praktischen Fertigkeiten im Lebensalltag. Obwohl es auch hier
Überschneidungen gibt, ist der wesentliche Unterschied zwischen dem ACT-Modell
und dem ICM-Modell, dass im ersteren das Team für eine Gruppe von Patienten, im
letzteren der einzelne CMer für einen einzelnen Patienten verantwortlich ist.
lDas Ressourcen-/Stärken-Modell (strength
model)
Als weitere wichtige Form des CM wird in
der Literatur (Weick et.al. 1989, Sullivan 1992) das Ressourcen-/Stärken-Modell
genannt. Deutlicher als in den anderen wird in diesem Modell betont,dass
Menschen mit schweren psychotischen Erkrankungen ressourcenorientiert unter
Berücksichtigung ihrer individuellen Fähigkeiten und persönlichen Ziele
behandelt werden sollen und nicht vorrangig geleitet von ihren Schwächen und
Grenzen. Zur Erreichung der persönlichen Ziele seien die individuellen Stärken
patientenbezogen zu mobilisieren und nutzbar zu machen. Darüberhinaus sollen,
ebenfalls expliziter als in anderen Modellen, die natürlichen Ressourcen in der
Gemeinde ausgeschöpft und als Möglichkeiten zur Integration verwendet werden.
Rapp faßt die wesentlichen Merkmale des Ressourcen-/Stärken-Modells
folgendermaßen zusammen: Fokus sind die individuellen Stärken, nicht die
Schwächen (1); die Beziehung zwischen CMer und Patient ist von vorrangiger
Bedeutung (2); sämtliche Interventionen sind gestützt auf die eigenen
Vorstellungen der Patienten (3); die Gemeinde ist eine Oase von Ressourcen,
nicht ein Hindernis (4); die Patient-CM-Kontakte finden in der Gemeinde statt,
nicht in der Einrichtung (5); Menschen mit schweren psychiatrischen
Erkrankungen können lernen, wachsen und sich verändern (6) (Rapp 1993).
Das Rehabilitations-Modell (rehabilitation
model)
Als letztes sei das Rehabilitationsmodell (Anthony et al. 1988) genannt. Ähnlich dem Res-sourcen-/Stärken-Modell betont dieses, dass die dem Patienten zur Verfügung gestellten Hilfeleistungen seinen individuellen Bedürfnissen und Lebenszielen entsprechen sollten und nicht den durch das psychiatrische Versorgungssystem festgesetzten. Besonderes Merkmal des Rehabilitationsmodelles ist, dass es die Förderung der Fähigkeiten betont, die ein psychisch schwer Kranker benötigt um in der Gemeinde zu leben und zu verbleiben und dort seine persönlichen Ziele zu verwirklichen.